Mentale Gesundheit „Zu viele Baustellen“: Was du gegen Überforderung im Alltag tun kannst

Kira Schlegel ist Trainerin und Coach im Bereich Positive Psychologie und bietet unter anderem Achtsamkeitstrainings und Einzelcoachings an. Am 20. Oktober hält sie für die Deutsche Bildung ein Webinar zum Thema „Take care of yourself: Mentale Gesundheit für Studierende und Young Professionals“. Wir haben vorab mit ihr gesprochen.

Das Thema ist in aller Munde, aber – was versteht man eigentlich unter mentaler Gesundheit? 

Mentale Gesundheit – auch gleichzusetzen mit psychischer Gesundheit – bezeichnet einen Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann – so schreibt es die WHO. Mentale Gesundheit bedeutet also weit mehr als das Fehlen einer psychischen Erkrankung. Sie bezieht sich auf einen Zustand, in dem es uns so gut geht, dass wir uns den Herausforderungen des alltäglichen Lebens gewappnet sehen, ohne im starken Maße darunter zu leiden. 

Immer mehr junge Menschen kämpfen mit psychischen Problemen. Was ist los? Sind junge Menschen heute etwa weniger belastungsfähig? 

Wie eben schon implizit erwähnt, kennt jede:r von uns gute und schlechte Tage. Eine Schwankung im emotionalen Erleben ist also absolut normal – insbesondere, wenn wir uns die ganzen Krisensituationen (Corona, Ukraine, Energie, etc.) ansehen, die uns im Moment begleiten. Nichtsdestotrotz gibt es auch immer mehr Menschen, die – absolut nachvollziehbar – stark davon beeinträchtigt sind. So zeigen Statistiken, dass die Zahl der Fehltage aufgrund von psychischen Problemen sich in den Jahren zwischen 2007 und 2022 verdoppelt hat.

„Junge Menschen sind nicht zwingend weniger belastungsfähig, sondern begegnen einer großen Vielzahl von Herausforderungen in unserer komplexen, dynamischen Welt.“

 Was sind typische Probleme, mit denen Studierende und Young Professionals in die Beratung kommen? 

Ein häufiges Thema ist Überlastung – zu viele To Do’s, Schwierigkeiten, sich abgrenzen zu können, hohe Erwartungen an sich selbst. Ich stelle immer wieder fest, wie viele Bälle viele junge Menschen jonglieren müssen – neben dem Studium noch ein Job, ein unbezahltes Praktikum, dazu vielleicht noch nicht den Ort gefunden zu haben, an dem man sich wohlfühlt, oder häufige Umzüge und sich dadurch verändernde Lebensbedingungen. Wenn zu viele Baustellen auf einmal präsent sind, ist schnell ein Gefühl von Überforderung da. 

 Woran erkenne ich, dass meine mentale Gesundheit angeschlagen ist? 

Das kann sich sehr individuell und vielfältig äußern. Einige Menschen berichten von Ermüdung und weniger Freude an Aktivitäten, die ihnen vorher Spaß gemacht haben, sowie von weniger Motivation und Antrieb. Andere kommen nicht mehr richtig zur Ruhe, klagen über Rastlosigkeit, Schlafprobleme oder Veränderungen im Appetit. Wann immer ich merke, dass mein emotionales Empfinden sich über eine längere Zeit verändert hat oder es mir schwerfällt, meinen Alltag zu meistern, sollte ich mir Unterstützung holen. 

 Welche Erste-Hilfe-Maßnahmen kann ich ergreifen, wenn ich merke: Ich stecke in der Krise und komme nicht mehr weiter? 

Der erste wichtige Schritt ist, die Situation anzuerkennen, so wie sie ist. Dies ist definitiv kein Fehler oder Verschulden der eigenen Person – sondern eine (gesunde) Reaktion auf starke Herausforderungen im Außen. Wichtig ist dann, sich an Vertrauenspersonen zu wenden und sich in dieser Situation nicht zu isolieren. Wenn die Symptome über einen längeren Zeitraum anhalten, sollte unbedingt der Hausarzt oder die Hausärztin, ein Psychotherapeut oder eine Psychotherapeutin beziehungsweise eine Beratungsstelle kontaktiert werden.

Wichtig!

Die TelefonSeelsorge®  ist rund um die Uhr erreichbar – an 365 Tagen im Jahr. Du bleibst in jedem Fall anonym und der Anruf ist selbstverständlich kostenfrei. Auch die Kontaktaufnahme per Chat ist möglich.

Außerdem gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten, an die man sich wenden kann: beispielsweise die TelefonSeelsorge (0800 111 0 111) oder die Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigungen, z.B. 116 117.  

 Stichwort Resilienz: Was kann ich vorbeugend tun, um mich gegen Stress und negative äußere Einflüsse zu schützen? 

Generell ist es wichtig, genügend Zeiten der Erholung im Alltag einzuplanen. Stress per se ist nicht das Problem, sondern das Fehlen der Erholungsfähigkeit. Zusätzlich kann es helfen, eine Liste an Aktivitäten, die mir Energie geben, anzufertigen und dafür bewusst Zeiten im Kalender zu blocken (im Idealfall täglich!).  

Wichtig ist mir, zu betonen, dass Mentale Gesundheit kein “Self-Care”-Thema ist, sondern strukturell angegangen werden muss, z.B. im Arbeitskontext, durch Politik und Entstigmatisierung. Trotzdem kann jeder und jede von uns etwas für das eigene Wohlbefinden tun: wissenschaftliche Erkenntnisse haben gezeigt, dass gute soziale Beziehungen der Faktor Nr. 1 sind, wenn es um unser Wohlbefinden geht. Um langfristig etwas für die eigene Resilienz zu tun, hilft es also ungemein, regelmäßig die eigenen sozialen Kontakte zu pflegen und uns mit anderen Menschen zusammenzutun – auch und gerade dann, wenn es uns nicht gut geht. 

Das Webinar „Take care of yourself: Mentale Gesundheit für Studierende und Young Professionals“ fand am 20. Oktober 2022 um 18:30 Uhr statt. Da uns das Thema am Herzen liegt, haben wir die Veranstaltung auch für externe Teilnehmer:innen geöffnet und ihnen die Chance gegeben, die Deutsche Bildung Academy kennenzulernen. 

 

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